Gerhard & Irene Weiss
Soziale Gerechtigkeit

Ohne Gerechtigkeit ist es unmöglich in der Wahrheit zu leben und diese zu erkennen. Wer Ungerechtigkeiten rechtfertigt, kann dies nicht in Wahrheit tun. Dies gilt im privaten Leben genauso wie in der Öffentlichkeit. So ist die Gerechtigkeit eine Grundvoraussetzung für eine positive Entwicklung in der nicht Lügen und Missgunst eine Gesellschaft prägen sondern Wahrheit und Liebe.
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Vielleicht hilft ein kurzer historischer Exkurs, uns dem Ideal einer gerechteren Gesellschaft etwas anzunähern.
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Die ältesten Keilschrifttafeln im Orient sind administrative Texte, die Besitzverhältnisse betreffen. Egal ob die Einführung einer schriftlichen Buchhaltung nun den Aufstieg zur ersten Hochkultur der Menschheit markiert oder das Ende eines Goldenen Zeitalters, das die friedliche Urphase der Menschheit beendete, wie dies die alten Griechen überlieferten - wer Besitz, Forderungen und Schulden aufschreiben muss, verfolgt in der Regel nicht das Ideal einer gerechten Gesellschaft, sondern versucht seine Vorrechte und Privilegien durchzusetzen.
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Die Städte des Altertums wurden von Gewaltherrschern gegründet und regiert. Dass diese Städte funktionierten, brauchten die Herrschenden Macht über Menschen, die die Versorgung sicherstellten. Diese verloren in der Folge ihre Freiheit und wurden versklavt oder zumindest in ein soziales Abhängigkeitsverhältnis gebracht. In den Grossreichen der alten Welt arbeiteten viele für den Luxus einer kleinen, herrschenden Elite, die vor nichts zurückschreckte um ihre Privilegien zu behalten. So wurde fein, säuberlich notiert wer was schuldete. Dies gab ihren Forderungen zumindest den Anschein von Rechtmässigkeit auch wenn das Zustandekommen der Schuld auf Ausbeutung beruhte.
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Mitten in diesem Umfeld schrieb ein Mann ein neues Gesetz für ein Volk, das gerade seine Freiheit zurückbekommen hatte. Sein Name war Mose und das Land, das sein Volk versklavt hatte, war wohl das Ägypten der 13. Dynastie. Nun war dieses Volk auf dem Weg in die Freiheit und das neue Gesetz sollte verhindern, dass sie bald wieder versklavt und ausgebeutet würden. Dazu wurden folgende Bestimmungen erlassen:
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Das neu gewonnene Land wird gerecht unter alle verteilt, so dass alle eine Lebensgrundlage haben und in Freiheit leben können.
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Es wird kein König über das Volk eingesetzt, der eine Dynastie begründen und Fronarbeit verlangen könnte.
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Es wird generell eine Frist von 50 Jahren eingeführt, die die Wirtschaftsordnung bestimmt.
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Die Menschen dürfen grundsätzlich frei über ihren Erbteil verfügen und das Leben so gestalten, wie sie dies möchten.
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Wer aus welchen Gründen auch immer sein zugeteiltes Land verkaufen muss, kann nur die Nutzniessung bis zum Ablauf der 50 Jahre veräussern.
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Wer sich selbst als Diener oder Sklave verdingen oder verkaufen muss, kann dies auch nur bis zum Ablauf der 50 Jahre tun.
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Ausgeliehener Besitz darf nicht mit Zinsen zurückgefordert werden, sondern nur zum Nominalwert.
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Für Waisen und Witwen, die keinen eigenen Erbteil bewirtschaften können, muss speziell gesorgt werden.
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Nach dem Ablauf der 50 Jahre, dem Jubeljahr, wird jeder Familie ihr Erbteil wieder unbelastet zurückerstattet und wer sich versklaven musste wird bedingungslos wieder frei.
Mit diesen Gesetzen wurde sichergestellt, dass jede Generation einmal die Möglichkeit für einen Neuanfang hatte. Zudem wurde verhindert, dass sich Einzelne auf Dauer ein leistungsloses Einkommen aneignen konnten. Grossgrundbesitz konnte so gar nicht entstehen und auch keine permanente Sklaven- oder Arbeiterschicht, die zur Bewirtschaftung dazu notwendig wäre. Spätestens nach 50 Jahren erhielt jede Familie ihren Erbteil mit Haus und Ackerland zurück und war wieder frei, und damit auch selber zuständig für ihren Lebensunterhalt und ihr Wohlergehen. Dies brachte Freiheit und Gerechtigkeit für alle Familien. Die Faulen mussten zwar die entsprechenden Konsequenzen tragen und die Fleissigen durften die Früchte ihrer Arbeit geniessen. Aber jede Generation hatte in der Regel einmal die Chance von vorne beginnen zu können. Der Erfolg oder Misserfolg ihrer Vorfahren war nicht auf Dauer massgebend für ganze Gesellschaftsschichten.
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Dieses Gesellschaftsmodell aus dem alten Testament hat mich immer wieder inspiriert nach den Prinzipien zu suchen, auf denen eine gerechtere Gesellschaft aufgebaut werden könnte. Dies war damals eine Agrargesellschaft und Münzen gab es noch keine. Zu verteilen gab es Grundbesitz und Sachwerte. Aber schon damals war es nicht zwingend, dass sich eine Gesellschaft aus einem König, einigen Grossgrundbesitzern und vielen Sklaven zusammensetzte, wie dies in den Grossreichen dieser Zeit und auch im römischen Reich üblich war. Dazu gab es schon immer eine Alternative. Und Alternativen gibt es auch heute noch. Hier ein paar Ideen als Brainstorming, die in einer gerechteren Gesellschaft denkbar wären:
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Jeder Mensch könnte eine Art Erbteil erhalten, der ihm als Lebensgrundlage dient. Nur dies ermöglicht, dass er sich frei entfalten kann. Sei dies nun ein Stück Land, ein gewisses Kapital um etwas aufzubauen oder ein Grundeinkommen. Die einzige Option darf für niemanden nur darin bestehen, dass er für andere arbeiten muss, die ihn für ihre Zwecke ausbeuten. Dies ist moderne Sklaverei.
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Natürliche Ressourcen könnten als Nutzrechte auf Zeit zugewiesen werden und müssten niemandem zu dauerndem Eigentum zugestanden werden. Es könnte verhindert werden, dass wenige Unternehmerfamilien den grössten Anteil unter sich aufteilen und der Mehrheit nichts mehr übrig lassen.
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Leistungslose Erträge wie Zinsen könnten grösstenteils an alle verteilt werden anstatt nur an einzelne Privilegierte.
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Entschädigungen könnten auch einen Bezug zum eigenen zeitlichen Aufwand haben. Löhne die auf der Arbeitsleistung Dritter oder Untergebener beruhen könnten geächtet werden. Niemand muss das Recht haben andere für sich arbeiten zu lassen um davon eigennützig zu profitieren.
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Es wäre wohl wirklich zielführender Energieverbrauch, Geldtransaktionen und Kapitalerträge zu besteuern und nicht persönliche Arbeit.
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Dies nur ein paar spontane Ideen. Soziale Reformen scheitern allerdings grundsätzlich nicht an fehlenden organisatorischen Möglichkeiten, sondern am Wesen von Menschen, die an ihren egoistischen Zielen festhalten und dazu bewusst Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen. Diese finden mit ihrer Haltung immer Möglichkeiten andere auszubeuten und auszunutzen, sei es nun mit List oder roher Gewalt.
Eine gerechtere Wirtschaftsordnung wird erst dann möglich, wenn die Mehrheit der Menschen eine gerechtere Welt in ihrem Herzen auch wünscht und sich nicht länger an ungerechtfertigte Privilegien klammert, auch wenn diese nach geltendem Landesrecht legal sind. In alten Zeiten galt Besitz als legal erworben, wenn dieser im offenen Kampf gewonnen und nicht heimlich gestohlen wurde. Nach neueren Rechtsordnungen wird erworbener Besitz primär durch die Versteuerung legalisiert. Wahrhafte Gerechtigkeit schliesst jedoch niemand aus und vermeidet allen Eigennutz, der auf der Ausbeutung von Unterprivilegierten basiert. Ungerechtigkeit führt zudem nicht nur zur Benachteiligung von Mitmenschen, sondern auch zur übermässigen Nutzung und Zerstörung der Umwelt.
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Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für ein Leben in Freiheit, Liebe und Wahrheit. So ist es gut, mit ihrer Verwirklichung in unserem Denken zu beginnen und unsere innere Haltung zu überprüfen. Die Menschheit wird immer in Lügen und Unfreiheiten gefangen bleiben, wenn sie sich der Herausforderung einer gerechteren Ordnung nicht stellt und beginnt ein höheres Ideal für ihre Gemeinschaft zu verfolgen.
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Bewahren und schaffen wir Gerechtigkeit als Ideal in unserem Herzen, so schaffen wir Raum für alles Gute, mit dem uns Gott beschenken möchte, und das die Natur in Fülle für uns Menschen bereitstellt.
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Gerhard Weiss, August 2020